Sönke Paulsen, Berlin
Ja, ich erinnere mich daran, wie ich damals als Jüngling in Berlin nie gelächelt habe. Lächeln, war höchstens als Ausdruck verächtlicher Überlegenheit an einer Currywurstbude möglich, auf Partys aber nur, wenn man wirklich mit interessanten Leuten in Kontakt kam. Grundsätzlich wurde nicht gelächelt. Warum habe ich das bloß übernommen?
Es hat mich geprägt! Ich bin nie wieder ein Lächler geworden, der ich als Kind doch war. Ich denke an die vielen Menschen, die nie ein Lächeln von mir bekommen haben, die ich ernst angeschaut habe, egal ob ich sie mochte oder nicht. Was für ein Defizit habe ich mir in dieser Stadt eingehandelt?
Natürlich habe ich später soziale Strategien entwickelt, um mich beliebt zu machen. Aber die Mundwinkel habe ich Zeit meines Lebens nicht mehr richtig hochbekommen. Was für Wahnsinn. Mein trockener Humor war irgendwann so ansteckend, dass die Leute sich kaputt gelacht haben. Wenigstens. Aber Lächeln ist doch so viel mehr. Es signalisiert menschliche Akzeptanz. Es sagt, Du bist auch ein Mensch, der bestimmt liebenswert ist und ich habe Dich nicht übersehen.
Im Berlin war das ein Nogo, zumindest in den Achtzigern, die mich geprägt haben. Gefühl und Härte war unser Motto und ich weiß überhaupt nicht mehr, warum.
Jetzt bekomme ich allerdings wieder dieses Gefühl der Härte, wenn ich mit jungen Leuten zu tun habe, die alles wollen, wirklich alles, aber nicht dafür lächeln. Manche reden sich die Seele aus dem Leib, weil sie so viel auf dem Herzen haben. Wenn sie sich bei mir ausschütten, sind die Mundwinkel leicht gespannt und sie reden und reden. Aber lächeln tun sie nicht. Warum? Sind sie so unglücklich? Oder haben sie Angst vor Lächerlichkeit?
Ich hatte damals Angst davor. Übrigens war und ist die gesamte Berliner Kunstszene von einer grässlichen Ernsthaftigkeit, die man kaum aushält. Oft genug, während sie ihren Quatsch erzählen oder ihre seltsame Kunst präsentieren. Bloß nicht lächeln! Auf der Vernissage sind die Künstler von jedem Lächeln zu verschonen. Es könnte ja verächtlich wirken. Künstler wollen meist niemanden zum Lachen bringen, sondern betroffen machen. Das zeigt man am besten durch ein ernstes Gesicht.
Lächeln ist blöde und zeigt, dass man nichts versteht.
Ist das neurotisch? Ganz sicher ist es das. Denn Lächeln signalisiert ja geradezu, dass man den anderen verstehen möchte und sich auf ihn einschwingt.
Die Berliner Modeszene ist inzwischen weltbekannt. Immerhin. Aus allen Ländern kommen die Designer nach Berlin und suchen nach neuen modischen Ausdrucksformen. Nur die Models dürfen nichts ausdrücken. Ihre Gesichter sind leer, wirken trotzig und abweisend. Ist diese Coolness wirklich notwendig? Wofür steht Mode denn? Für Kommunikation, Ausdruck und die spezifisch menschliche Art sich zu verwandeln. Kann man das nur mit kalten abweisenden Blicken tun? Was drückt das aus? Kälte, Desinteresse an anderen und oft aggressive Abwehr. Sind wir wirklich so schlimm, dass wir uns modisch kleiden müssen? Einige wohl schon. Für mich ist das inzwischen reines Unvermögen, mit anderen in Kontakt zu treten. Nicht umsonst haben viele Modeschöpfer einen Hund oder eine Katze, die sie immer bei sich tragen. Diese Tiere tragen die Reste ihrer emotionalen Kontaktfähigkeit. Die Klamotten von solchen Leuten würde ich jedenfalls nicht anziehen.
Ich werde damit beginnen, Leute anzulächeln, die ich nicht kenne. Einfach so. In der Bahn und auf der Straße, ja sogar im Auto. Im Laden, im Café und auf der Arbeit. Die Mundwinkel müssen nach oben. Das Gesicht darf dabei ruhig ein bisschen rund werden, es muss nicht immer hart wirken. Ich werde nicht bedroht und viele andere, werden auch nicht bedroht, obwohl sie mit einem solchen Gesichtsausdruck durch Berlin laufen.
Es ist eine Störung, die in Berlin besonders ausgeprägt ist. Dagegen möchte ich etwas tun.