Sönke Paulsen, Berlin
Um den Begriff gibt es einen Hype und dieser Hype ist ziemlich typisch für unsere Zeit. Beziehungen können toxisch sein, vor allem dann, wenn man sich zu abhängig vom anderen fühlt. Ohjeh!
In Beziehungen darf man sich also nicht zu abhängig fühlen, man muss seine Individualität voll ausleben können und darf nicht eingeengt werden. Man kann das auch anders ausdrücken:
Für Beziehungen darf man heute keinen emotionalen Preis mehr bezahlen. Der Preis ist dabei schon dann zu hoch, wenn man den einschlägigen Internet-Foren glaubt, wenn man sich abhängig fühlt. Das sei dann eine toxische Beziehung.
So, wie dieser Begriff derzeit inflationiert, hat jeder eine toxische Beziehung. Es kann auch gar nicht anders sein, weil jeder der sich auf eine Beziehung einlässt, auch abhängig ist und wird.
Aber das ist nicht toxisch!
Es wird in Beziehungen erst in dem Moment unangenehm, wo einer der Partner lieber so tun möchte, als hätte er keine Beziehung. Meist in dem Bestreben, sich frei zu fühlen. Noch unangenehmer wird es, wenn man sich gegenseitig niedermacht, weil der andere angeblich nicht den eigenen Ansprüchen genügt.
Dann könnte man schon sagen, dass es eine ungute Beziehung ist oder wird.
Die Frage ist nur, woran das liegt?
Seit es einfacher geworden ist, einen neuen Partner über das Internet zu finden, sind auch die Ansprüche gestiegen. Beziehungen fallen einem nicht mehr so zu und man arrangiert sich damit. Nein! Beziehungen werden gezielt gesucht und zwar überwiegend zum Zweck der Selbstoptimierung. Ein richtiger Markt ist entstanden. Die typische Single-Frau möchte, dass der Partner zu Wohnungseinrichtung passt und der Single-Mann wünscht sich eine Lady, die sich hübsch in seinem Sportwagen macht. Das sind alles sehr oberflächliche und narzisstische Kriterien, die inzwischen die Beziehungsvorstellungen von ganzen Generationen prägen.
Da liegt der Fehler.
Passend dazu werden auch keine Leiden mehr akzeptiert, wenn der Partner oder die Partnerin nicht den eigenen Ansprüchen genügen. Dann wird schnell gewechselt und sich emotional abgekoppelt. Wer das zuerst macht, hat gewonnen. Der andere bleibt auf der Strecke!
Das sind keine toxischen Beziehungen! Nein, das ist ein komplett vergiftetes Beziehungsverständnis. Nicht dieser oder jener Partner/Partnerin sind dabei krank, sondern die Gesellschaft, die solche Beziehungsvorstellungen akzeptiert und sogar fördert.
Zu jeder Beziehung gehört Leiden. Ein Psychoanalytiker schrieb einmal „wer nicht leiden will, muss hassen“. Er beschrieb darin eine Gesellschaft deren Individuen sich gegenseitig vernichten, weil sie Leiden konsequent durch Hass abwehren. Auch so ein Zeitzeichen.
Wir leben in einer Welt der „Hater“ und das ganze Internet ist voll davon. Das ist tatsächlich toxisch. Aber zu Grunde liegt eine völlig falsche Vorstellung von zwischenmenschlichen Beziehungen. Das Internet mit seinen zahlreichen Irrwegen hat diese falsche Vorstellung vom anderen als Mittel zur eigenen Selbstverwirklichung im großen Stil möglich gemacht. Eine Industrie ist entstanden und die definiert nun nach ökonomischen Gesetzen, was Beziehungen sind.
Auch das ist extrem toxisch!