Sönke Paulsen, Berlin
In einem genialen Werbeclip von knapp zehn Minuten erzählt „Intersport“ eine düstere Zukunftsvision. Eine Welt in der Sport verboten ist. Der Gag ist gelungen, aber diskutiert wurde darüber nicht. Ist Sport wirklich subversiv?
„Einmal Sport – Intersport“, heißt der Werbeclip in dem ein unerträglich lustfeindlicher Staat Angst um die Produktivität seiner Bürger bekommt und kurzerhand ein unbefristetes Sportverbot erlässt. Überwacht von einer „Staatlichen Anti-Aktivitätszentrale“ und flankiert von permanenter propagandistischer Gehirnwäsche, werden die Menschen aufgefordert ihre Kräfte zu schonen und ihre Produktivität zu erhalten. „Meldet Aktivitäten umgehend“, flimmert es von einem Gebäude.
Klara, deren Vater, als Trainer, gegen das Sportverbot verstoßen hatte und nun abgetaucht ist, lebt dieses staatlich verordnete Leben für die Produktivität nur halbherzig. Sie wacht morgens auf und bekommt, über ihren Wecker, die Information, dass ihre Erholung bei dreiundachtzig Prozent liegt. Dann steigt sie in einen vergitterten Bus und fährt zur Arbeit. Ein älterer Mann ist spät dran und versucht den Bus noch laufend zu erreichen, wird aber von den allgegenwärtigen Sicherheitskräften abgefangen und zu Boden gedrückt. „Hier wird nicht gelaufen,“ schreien ihn die Sicherheitsleute an.
Schließlich bekommt Klara eine Nachricht aus dem „Sport-Untergrund“ und einen Hinweis, wo sich ihr Vater aufhält. Sie macht sich auf die Suche nach ihm. Ein Spitzel der Anti-Aktivitätszentrale folgt ihr auf Schritt und Tritt, überwacht sie von einem gegenüberliegenden Gebäude aus. Ihre Wohnung ist verwanzt. Nachdem sie die Botschaft von ihrem Vater erhalten hat, geht sie ins Risiko und versucht dem Spitzel zu entkommen. Sie will ihren Vater finden. Der Clip endet in einer verborgenen Sporthalle, in der so ziemlich jede Aktivität illegal betrieben wird. Dort trifft sie ihren Vater und geht mit ihm und allen anderen demonstrativ ins Freie. Ob der Aufstand der Sportler staatlich niedergeschlagen wird, lässt der Clip allerdings offen. Es kommt wohl eher auf diesen Augenblick der Freiheit an.
Was ist dran an der Dystopie?
Vom ersten Augenblick an, fühlt man sich im „falschen Film“, was wohl auch gewollt ist. Denn der Gag ist eben, dass sich wohl die wenigsten Diktaturen von einer Sport treibenden Bevölkerung bedroht fühlen würden.
Allerdings gibt es in der islamischen Welt eine ganze Menge Staaten, die sportliche Aktivitäten für Frauen einschränken und unterdrücken. So absurd ist es eben doch nicht. Vor ein paar Jahrzehnten war nicht jede Sportart für Frauen zugänglich, auch bei uns nicht. Es war nicht verboten, aber eben nicht zugänglich. Man braucht nur an den Frauen-Fußball zu denken oder das Frauen-Boxen.
Somit liegt Intersport mit seiner düsteren Vision gar nicht so weit von der Realität entfernt. Die Hauptdarstellerin ist eine junge Frau, Klara, die es mit ihrem Bewegungsdrang in vielen Ländern tatsächlich ziemlich schwer haben dürfte.
Die beliebte chinesische Sportart Quigong war noch vor einigen Jahren Gegenstand staatlicher Verfolgung, als die Falun Gong-Bewegung Millionen Chinesen in ihren Bann zog und ihnen, im buddhistischen Sinne persönliche Integrität und Selbstbewusstsein abseits der Kommunistischen Partei vermittelte. Das chinesische Regime reagiert tatsächlich in den neunziger Jahren mit einer Kriminalisierungskampagne gegen Falun Gong. Zehntausende wurden inhaftiert und zweitausend Menschen starben während der Haft. Der Gründer der Bewegung, Li Hongzhi, floh in die USA.
Es ist also, vom Frauensport bis Quigong nicht falsch, sportliche Aktivität als subversives Signal gegen Diktatur und Unterdrückung zu erkennen. Intersport liegt mit seinem Film gar nicht so daneben, wie es auf den ersten Blick scheint.
Der Staat rückt näher
Der Film endet mit einem Moment der Freiheit von einem unerträglich bevormundenden Staat. Die Art der Bevormundung durch ständige Berieselung mit Propaganda und drastischen Verboten erinnert auch ein wenig an die Zeit der Pandemie. Es gab wohl keinen Tag an dem nicht Verhaltensregeln, Vorschriften und Verbote über alle Kanäle verbreitet wurden. Es gab auch ein Näherrücken des Staates fast bis in unsere Wohnzimmer, weil uns normale alltägliche Aktivitäten verboten wurden. Darunter auch Sport in Gruppen und in geschlossenen Räumen. Man fühlt sich in dem Film auch durchaus an diese gerade zurückliegende Zeit einer „Quasi-Diktatur“ durch einen hypochondrisch fanatisierten Staatsapparat erinnert.
Die Digitalisierung rückt uns auf den Pelz
In dem Filmchen von Intersport werden die Bürger vom Staat geduzt und permanent zu Wohlverhalten aufgefordert. Das kommt auch durchaus in einer Sprache der politischen Korrektheit daher. Den Bürgern wird vermittelt, was sie denken sollen und woran sie gar nicht erst denken sollten. Das erinnert in seinem totalitären Anspruch durchaus an die Art, wie wir heute in der digitalen Welt behandelt werden.
„Alles gut!“
Die Beruhigungsformeln, mit denen wir uns ständig gegenseitig versichern, dass wir keine schlimmen Fehler gemacht haben und immer noch im Spiel sind, zeigt die Ängste auf, aus einem System ausgesondert zu werden, in dem schon ein paar unpassende Worte zum sozialen Tod führen können. Wir werden in erheblich stärkerer Weise indoktriniert, verängstigt und unterdrückt, als wir zugeben möchten. Wir leben noch in einer Demokratie. Das ist richtig. So gesehen ist alles gut. Aber der Anpassungsdruck nimmt zunehmend totalitäre Züge an und dringt tief in unser Privatleben ein.
Immerhin dürfen wir noch Sport treiben. Ein befreiendes Lachen angesichts dieses satirisch gemeinten Clips von Intersport, ist also (noch) erlaubt!