Sönke Paulsen, Berlin
Das Kalkül, dass die ukrainische Armee bei der Verteidigung Bakhmuts in der Ost-Ukraine verfolgt, leuchtet vielen Medien im Westen wenig ein. Aus Washington hört man immer wieder, dass Bakhmut eher eine symbolische als eine strategische Bedeutung habe. Wenige Kilometer dahinter liegt das hügelige Chasiv Yar, das stark befestigt ist und über Artillerie verfügt, die auf den Bergen stationiert ist. Dagegen können die Russen nur schwer anrennen.
Die Frage, ob es ein Selbstmordunternehmen ist, dass die Ukraine vollführt, wenn sie sich nicht aus der stark bedrängten Stadt zurückzieht, kann strategisch nur mit einem zweiten Mariupol begründet werden. Mariupol hat die Russen über Monate aufgehalten, auch, als es nur noch Widerstand aus den unterirdischen Bereichen des großen Stahlwerks Assow gab. Dennoch waren dort viele russische Kräfte gebunden.
Die angeblichen Aussagen eines ukrainischen Soldaten in russischer Gefangenschaft, sind zwar vage, aber sie könnten einiges erklären. Er berichtet von einem Tunnelsystem, zwischen Bakhmut und Chasiv Yar durch das immer wieder neue Kräfte nach Bakhmut geschickt und verletzte sowie erschöpfte Soldaten evakuiert werden können. Das erinnert an Mariupol und scheint sogar eine bessere strategische Position zu bieten, als das Assow-Stahlwerk am Assowschen Meer.. Denn letzteres war über Monate ohne Nachschub eingekesselt. In Bakhmut gibt es offensichtlich Nachschub aus dem schwer befestigten Chasiv Yar. Die Ukrainer könnten diese Tunnel gebaut haben, weil sie genau dieses Szenario im Kopf hatten und die russische Armee in Bakhmut aufreiben wollten, wobei sie dieses Mal selbst frische Kräfte heranführen können. Ein Vorteil, der sich in den zermürbenden Straßenkämpfen bemerkbar macht, in denen vor allem die Wagner-Söldner massive Verluste erleiden.
Die Existenz von Versorgungstunnels wurde in dem beschriebenen Ausmaß bisher nicht bestätigt. Der ukrainische Generalstab dürfte ein Interesse daran haben, so wenig wie möglich über das Tunnelsystem durchscheinen zu lassen.
Man wird sehen.