Anleitung zum Wildpinkeln

Sönke Paulsen, Berlin

Wem es noch nicht aufgefallen ist, spätestens seit dem Urteil des Amtsgerichtes Lübeck vom 29.6.2023 in dem der Fall eines „Ostseepinklers“ mit Freispruch endete, weil eine Belästigung der Allgemeinheit nach §118 OWIG nicht festgestellt werden konnte, ist klar, dass ein generelles Verbot, im öffentlichen Raum zu pinkeln, nicht besteht. Es handelt sich um ein Narrativ, das immer wieder in den Medien breitgetreten wird, obwohl es kaum Verurteilungen zu diesem „Tatbestand“ gibt.

Auch das Amtsgericht Lübeck sieht eher ein Recht, zumindest in der freien Natur, seine Blase zu entleeren und beschließt seine Urteilsbegründung mit dem fast lyrisch anmutenden Satz:

„Nachdem als Anknüpfungspunkt einer Belästigung der Allgemeinheit das Schamgefühl, die Verunreinigung durch Rückstände oder die Belästigung durch Gerüche ausgeschlossen werden kann, ist das Verhalten des Betroffenen eine nach der allgemeinen Handlungsfreiheit des Artikel 2 Absatz 1 GG geschützte und letztendlich wohl auch naturrechtlich verankerte menschliche Willensbetätigung. Der Mensch hat unter den Weiten des Himmelszeltes nicht mindere Rechte als das Reh im Wald, der Hase auf dem Feld oder die Robbe im Spülsaum der Ostsee.“

Es bleibt anzumerken, dass der o.g. Paragraph das Wildpinkeln überhaupt nicht erwähnt und erst durch diverse rechtlich irrelvante Behauptungen in den Medien der Eindruck eines generellen Verbotes geweckt wird, so als wäre das Wasserlassen ganz generell eine „grob ungehörige Handlung“, die automatisch zu einer Belästigung der Öffentlichkeit führe.

„Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG)

§ 118 Belästigung der Allgemeinheit

(1) Ordnungswidrig handelt, wer eine grob ungehörige Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen.

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße geahndet werden, wenn die Handlung nicht nach anderen Vorschriften geahndet werden kann.“

Das ist eben nicht der Fall und die Gerichte haben in den wenigen Beispielen, die öffentlich einsehbar sind, jeweils im Einzelfall entschieden. So wurde eine alkoholisierte Münchenerin, die vor den Augen der Polizei hinter einem parkenden Auto pinkeln ging tatsächlich nach §118 OWIG zu 100 Euro Ordnungsstrafe verurteilt.

Es kommt also ganz offensichtlich auf die Situation an und demonstratives Pinkeln in der Öffentlichkeit kann nicht empfohlen werden.

Nun ist der §118 eigentlich subsidiär gedacht, kommt also vor allem dann zur Anwendung, wenn andere rechtliche Regelungen, vor allem die Ordnungsvorschriften von Kommunen nicht greifen. Kommunen, Städte und Gemeinden sind natürlich gegen das „Wildpinkeln“ eingestellt und versuchen dieses menschliche Verhalten zu unterbinden.

Man könnte es auch verstehen, wenn es um Massenveranstaltungen auf freien Plätzen geht, um Konzerte, den Karneval oder Oktoberfeste. Aber es ist so etwas wie eine repressive Manie entstanden, das Pinkeln generell zu ächten und hierfür auch skrupellos falsche Rechtsbehauptungen zu benutzen, um eben dieses Narrativ gegen das „Naturgegebene“ immer weiter zu füttern.

Es soll wohl eine neue Moral eingeführt werden, welche sich vor allem gegen Männer richtet, die eher den Hosenlatz öffnen, als Frauen.

Dabei geht nicht selten das Augenmaß verloren, wie im o.g. Falle eines Pinklers in der Ostseedämmerung, der vom Ordnungsamt zur Anzeige gebracht wurde. Bei den Google-Suchergebnissen gibt es bis hinauf zum ADAC scheinbare Rechtsratschläge, die allesamt auf fehlgeleiteten Rechtsmeinungen beruhen und Autofahrern dringend empfehlen, weiter zu fahren, bis sie eine Toilette gefunden haben, auch wenn die Blase noch so drückt! Sowohl der ADAC als auch die ARAG sprechen in ihren Beiträgen zu diesem Thema von einem generellen Verbot des „Wildpinkelns“ in Deutschland. Das stimmt einfach nicht!

Diesen Blödsinn könnte man auch medizinisch kommentieren, da bekannt ist, dass eine übervolle Blase, beispielsweise bei Blasenentleerungsstörungen, zu kognitiven Einschränkungen führen können, die schlimmstenfalls bis zu einem schweren Verwirrtheitszustand reichen. Somit ist der Ratschlag des ADAC unter Umständen verkehrsgefährdend!

Man kann nur sagen: Lieber rechts ranfahren und sich einen Busch zum Pinkeln suchen. Das ist möglicherweise sehr viel ungefährlicher!

Dennoch sollte man bei Wildpinkeln die Kirche im Dorf lassen und Übertreibungen vermeiden. Alles Demonstrative in diesem Bereich schreit nach Strafe! Das Pinkeln im Stau (wohlgemerkt wenn alles steht) sollte am rechten Fahrbahnrand und möglichst verdeckt geschehen. Bei Stop and Go, bleibt nur der Standstreifen, der vorsichtig angefahren werden muss, weil gerade dann Autofahrer diesen Standstreifen gern zur Fahrspur umfunktionieren.  Diese Gepflogenheiten sind auch üblich und dürften bei Gericht durchgehen, wenn tatsächlich ein „Übereifriger“ eine Anzeige schreibt.

Natürlich gibt es Bereiche die absolut Tabu sind. Kinderspielplätze, Kirchengrundstücke und Friedhöfe sollten sich von selbst verstehen, aber auch Hauswände an Straßen, Vorgärten und alle geschützten Grünanlagen. Nur, wer sich hinter dem Gebüsch versteckt, um sich dort kurz zu erleichtern, sollte ebenso geschützt sein, wie eine Grünanlage.

Die ostdeutsche Stadt Delitzsch, die in ihrer Polizeiverordnung einen Ausweg für dringende Fälle eingebaut hat, drückt das sehr vorsichtig aus:

„§ 14 der Polizeiverordnung der Stadt Delitzsch – Ordnungsvorschriften

(2) Auf Verkehrsflächen und Anlagen sowie auf sonstigen öffentlich einsehbaren Flächen ist das Verrichten der Notdurft untersagt.“

Wenn die Fläche nicht öffentlich einsehbar ist kann man also noch ungestört sein. Solche Flächen gibt es viele. Ein erfahrener Wildpinkler entwickelt ein Gespür dafür und dürfte im Normalfall nicht zur Rede gestellt werden.

Wildpinkeln ist eigentlich für den Notfall. Wer eine Philosphie für sich daraus macht, ist in dünner besiedelten Ländern vielleicht besser gestellt. Aber unter allen Umständen verdrücken, muss man sich den Harndrang nicht!

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