Sönke Paulsen, Berlin
Die heißen Tage haben erst einmal eine Pause eingelegt und ich bin ganz froh darüber. Die Hitze und die viele nackte Haut, die ich fotografiert habe, wurden für ein paar Tage zum Lebensgefühl, das mich ein wenig verrückt gemacht hat. Ich war sogar in einem Tatoo-Laden und habe mich beraten lassen.
Ich kann nicht sagen, was letztlich den Ausschlag gegeben hat, dass ich mich ernsthaft mit einem Tatoo anfreundete. War es die Scheidung, die bevor steht oder die verrückten „zweiten Dreißiger“ die ich in mir habe? Ein Tatoo von einem Mungo, der eine Kobra bekämpft, hat es mir angetan. Die kleine Zeichnung hat mich ein wenig an Mia unseren kleinen Jagdspaniel erinnert. Sie ist eine ausgezeichnete Jägerin und ich konnte mir gut vorstellen, dass sie auch eine Giftschlange zur Strecke bringen könnte.
Wie auch immer ging ich in diesen Laden und ließ mich beraten.
Paula ist eine blonde Artistin, sehr sympathisch, hübsch und dabei glaubwürdig. Sie trägt ihre Kunstwerke auf der eigenen Haut, was ihrem Körper eine erstaunlich Tiefe gibt. Sie spricht viel mit mir über Schattierungen, die für den plastischen Effekt der Bilder wichtig sind. Das Gesicht eines Mädchens auf ihrem Oberarm zeigt sie als Beispiel. Es sieht perfekt aus.
Eigentlich wollte ich nur ein schlichtes Tatoo von besagtem Mungo nebst Kobra, welches sie zu grob und skizzenhaft fand. „Das sieht dann aus, wie mit einem Filzstift aufgemalt,“ gab sie zu bedenken. Für die ganze Prozedur würde sie zwei bis drei Stunden benötigen und danach müsste ich vier Wochen vorsichtig sein. Nicht baden und nicht in die Sonne mit der malträtierten Haut, damit sich nichts entzündet.
Puh, dachte ich mir. Das im Sommer so kurz vor der Urlaubszeit! Ich bekam erste Zweifel, ob ich den richtigen Zeitpunkt erwischt habe.
Ich wollte dann noch ein kleines Schrift-Tatoo unter dem linken Schlüsselbein. Gerade groß genug, dass es unter meinem offenen Hemd hervorschauen würde. Es sollte schön aussehen und Interesse wecken. Wenn ich ehrlich bin, verspreche ihr mir von den Tatoos eine Steigerung des erotischen Interesses an meiner Haut. Außerdem würde das Tatoo am Schlüsselbein eine kleine Eindellung überspielen, die ich seit meiner Kindheit an dieser Stelle habe. Warum also nicht?
Ich rede auch durchaus von erotischer Attraktivität. Ich bin gut gebaut und trainiert. Aber mein Gesicht sieht immer älter aus. Was liegt da näher, als die Aufmerksamkeit auf körperliche Details zu lenken, die noch recht attraktiv wirken. Das Tatoo wirkt wie ein Hinweisschild. Das hoffe ich zumindest.
Ein interessantes Gesicht reicht nicht, es muss auch ein interessanter Körper dazukommen.
Erotische Freizügigkeit, die man Tatoo-Trägern seit jeher unterstellt, würde ich auch gern signalisieren.
Es gibt für mich also tatsächlich Argumente, die für ein zwei Tatoos sprechen.
Leider gibt es auch Argumente dagegen. Meine Physiotherapeutin, auf die ich große Stücke halte, hat den Kopf geschüttelt. Sie gab mir ordentlich Kontra. „Wenn die Haut faltig wird, sehen Tatoos schlimm aus,“ warf sie ein. Man müsse zumindest jung und knackig sein, damit es einigermaßen wirkt. Wir arbeiten schon lange zusammen und ich möchte sie nicht missen. Nach unserer kleinen Diskussion stellte ich mir vor, dass sie jedes Mal, wenn sie mich massiert, mit meinem Tatoo konfrontiert wird. Ich habe seitdem Zweifel, ob unsere Beziehung das unbeschadet überstehen würde.
Es wirkt ein bisschen so, als würden Frauen in meiner Altersklasse Tatoos ablehnen, was ich in meiner Bekanntschaft bestätigt finde. Tatsächlich fallen mir männliche Tatoo-Träger vor allem zusammen mit deutlich jüngeren Frauen auf, die ebenfalls häufig tätowiert sind. Ist Tatoo etwa ein Zeichen des Jugendwahns?
Ich muss zugeben, dass ich im Augenblick verunsichert bin und mich weder für noch gegen ein Tatoo entscheiden kann. Ich werde heute zu Paula fahren und meinen Termin erst einmal verschieben. Sie ist telefonisch schlecht zu erreichen und hat mir keine Email-Adresse gegeben. Sie ist halt Künstlerin und Künstler sucht man in der Regel persönlich auf.
Die Frage: Tatoo ja oder nein ist noch nicht entschieden!