Warum High-End Flugzeuge abstürzen

Sönke Paulsen, Berlin

Als ehemaliger Sport-Pilot denke ich öfter an meine Zeit in der Luft und als Dozent für Fluglehrer mit dem Thema „Menschliches Leistungsvermögen“. Was mir in meinen Vorträgen mit anschließender Diskussion immer wieder auffiel, war die fatale Selbstüberschätzung vieler Piloten, wenn es um kritische Flugsituationen ging. Oft wurde nach dem Muster argumentiert, dass man schließlich genügend viele Notfallsituationen trainiert habe.

Das stimmte auch, wenn man bedenkt, dass ich es mit sehr gut ausgebildeten Fliegern zu tun hatte. Aber ich hatte oft den Eindruck, dass sie alle von einem Bias (einer Voreinstellung) beherrscht waren, den man etwa so formulieren könnte. „What I can´t imagine, can´t happen.“

Allein, meine relativ geringe Erfahrung als Sportpilot sagte mir etwas ganz anderes. Jeder Notfall hat etwas vollkommen fremdes und unerwartetes. Kritische Flugsituationen bestehen gerade darin, dass man nicht mit ihnen gerechnet hat.

Damit überfordern alle Notfälle prinzipiell und grundsätzlich die Piloten. Es kommt also darauf an, eine akute Überforderung zu bewältigen, um noch mit heiler Haut davon zu kommen. Der Bias „What I can´t imagine, can´t happen,“ ist dabei alle andere als hilfreich. Er führt dazu, das wir von der eingetretenen Situation geschockt sind und zu viel Zeit brauchen, um sie zu erfassen.

Die letzten Worte des Birgenair Kapitains vor dem Absturz durch Überziehen des Flugzeuges infolge einer Fehlanzeige der Instrumente, waren: „Allah, Allah“ und bedeuteten so viel wie. „Was in aller Welt passiert hier gerade?“ Das nicht Verstehen einer Flugsituation ist dabei kein menschliches Versagen, wenn es durch technische Probleme oder andere Faktoren verursacht ist, aber es ist eine gefährliche Blockade, die wertvolle kognitive Ressourcen bindet.

In dem alten Sportflugzeug, mit dem ich meist unterwegs war, gab es einen ärgerlichen technischen Defekt. Manchmal lief die elektrische Trimmung des Höhenruders, die am Steuerknüppel gedrückt wurde, einfach weiter, obwohl sie es nicht sollte. Statt also das Höhenruder ein bisschen nach oben oder unten auszurichten, lief der Stellmotor bis in die Extremposition und ließ sich dann nicht mehr in der anderen Richtung verstellen.

Das passierte meist am Boden, wenn die Startkonfiguration des Fliegers eingestellt wurde. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass mir das auch in der Luft passieren könnte. Aber genau so war es dann. Im Steigflug von einem höher gelegenen Grasplatz lief mir die Trimmung beim Ausleveln während des Abfluges so massiv nach oben, dass ich mich plötzlich in einem Sturzflug auf den unter mir liegenden Wald befand.

Ich war schon in der Mindesthöhe für das Rettungssystem, über das diese kleinen Flugzeuge verfügen, als mir einfiel die Trimmung am Copiloten-Sitz zu korrigeren, was „Gott sei Dank“ sofort funktionierte und meinen Sturzflug und das bedrohliche Rütteln der Maschine beendete. Wenn es mir nicht eingefallen wäre, dann wäre ich günstigstenfalls mit dem Rettungsfallschirm im Wald niedergegangen. Das sichere Ende für das Flugzeug und vielleicht auch für mich!

Wenn mich danach jemand gefragt hätte, was das Hauptmerkmal dieser Situation war, hätte ich geantwortet: „Ich hatte nicht damit gerechnet!“ Mein Glück war nur, dass ich bereits ein „Muster“ für die richtige Antwort in dieser Situation im Kopf hatte. Wäre ich überhaupt nicht auf diese böse Trimmung vorbereitet gewesen, wäre ich mit Sicherheit am Fallschirm niedergegangen. Da es aber bereits am Boden mehrfach passiert war, kannte ich eine Lösung und konnte sie im Flug gerade noch rechtzeitig umsetzen.

Gehen wir den Schritt in die professionelle Fliegerei. Dort verfügen die Piloten über ungleich mehr Flugerfahrung und trainieren Notfallsituation regelmäßig. Sie kennen idealerweise die Checklisten für Notfälle und sind mental auf unerwartete Situationen eingestellt. Trotzdem stürzen sie ab und zwar in Hightec-Maschinen der neuesten Generation!

Gerade geht der Absturz der indischen Boing 787 Dreamliner durch die Medien, bei dem das Flugzeug im Steigflug plötzlich an Höhe verlor um dann in stabiler Fluglage in die Wohnbebauung hinter der Piste zu krachen. Es gab nur einen Überlebenden! Der Pilot funkte zuletzt, dass er keinen Schub habe, was auf eine Störung der Triebwerke hindeuten könnte. Sehr wahrscheinlich aber ist das nicht. Es könnte genauso gut ein Autopilot gewesen sein, der in Landekonfiguration eingestellt war und kurz nach dem Abheben aktiviert wurde. Das bleibt abzuwarten.

Boeing hatte übrigens immer wieder Probleme mit einer teils kryptischen und unverstandenen Software die auch bei der 737 Max zweimal zuschlug und schwere Abstürze verursachte. Bei diesem Flugzeug war eine Software verbaut, die eine bauartbedingte Schwanzlastigkeit des Jets in bestimmten Situationen automatisch ausglich. Die Piloten waren darüber nirgendwo informiert worden. Auf Grund eines defekten Sensors (der keine Redundanz hatte) griff die Software ein und steuerte auf diese Weise zwei Jets in den Absturz. Die fehlerhafte Trimmung ließ sich nur durch vollständige Abschaltung der elektrischen Trimmung beheben, was für ein modernes Verkehrsflugzeug eigentlich ein Nogo sein sollte.

Kurz, die Fehler der Software waren massiv und mit normalen Mitteln nicht zu kompensieren. Die Piloten hatten keine Chance, es sei denn, sie hätten geahnt, dass ihnen die Trimmung einen Streich spielt und diese tatsächlich komplett abgestellt. Allerdings ist eine stark verstellte Trimmung, die sich nicht korrigieren lässt, in der Regel tödlich, weil man ab einer gewissen Geschwindigkeit mechanisch kaum dagegen anarbeiten kann.

Am Ende fallen Flugzeuge also sehr oft wegen eines Systemfehlers vom Himmel und je komplexer das System, desto schwerer ist es für die Piloten, die fehlerhafte Einstellung zu kompensieren.

Der wichtigsten Satz, den Piloten in Bezug auf Notfallsituationen lernen, ist „fly the airplane“.  Wenn aber Flugzeuge auf Grund ihrer technischen Ausrichtung und einer dominierenden Software das verhindern, sind Piloten quasi chancenlos.

Boeing ist in Bezug auf das fatale Softwaresystem bei der 737 Max einen neuen Weg gegangen.  Das MCAS lässt sich inzwischen durch manuelle Steuerbefehle der Piloten übersteuern, der Pilot kann also die Kontrolle über das Flugzeug erzwingen.

Ein wichtiger Schritt in dem Erkenntnisprozess, dass die Piloten und nicht die Software das Flugzeug fliegen müssen, dass auch High-End-Flugzeuge jederzeit auf die Befehle der Piloten reagieren müssen. Kein System darf einen Piloten überstimmen und alle Steuerungssysteme müssen dem Piloten sofort folgen.

Die wichtigste Frage, die ich mir dabei stelle, ist aber, was die KI-Enthusiasten unter den Flugzeugentwicklern dazu sagen werden. Denn die haben ein ganz anderes Ziel:

Das führerlose Flugzeug, das nur von einer künstlichen Intelligenz geflogen wird.

Wer sich ein bisschen mit künstlicher Intelligenz und ihrer Fehleranfälligkeit beschäftigt, dürfte sich schon entschieden haben, niemals in eine solche Drohne einzusteigen. Der menschliche Faktor, das wollte ich hier darstellen, ist immer noch die beste Methode, um Luftnotlagen zu beherrschen und Abstürze zu vermeiden.

Wenn man ihn lässt!

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