Sönke Paulsen, Berlin
Tee mit von der Leyen und Staatsbesuch bei König Olaf. Warum kommt König Charles III. ausgerechnet jetzt in unsere Hauptstadt? Die Presse rätselt mit ihrem Drang zum Gründeln seit Tagen und kommt zu erstaunlichen Schlüssen. Charles will den Brexit aushebeln!
Die „Neue Züricher“ sieht sogar eine konzertierte Aktion mit dem neuen britischen Premier Rishi Sunak, der den Nordirland-Streit mit der EU im Windsor-Vertrag zumindest glätten konnte. Von einer Charme-Offensive gegenüber Brüssel ist die Rede. Ursula von der Leyen war kürzlich in Windsor zum Tee eingeladen. Was da wohl gekungelt wurde?
Pikant ist auch der Verweis auf die „black spider memos“, handschriftlich verfasste Memos, die der damalige Prinz of Wales an Minister verschickte um politischen Einfluss zu nehmen. Diese waren inhaltlich leider so harmlos und oberflächlich, dass selbst der Guardian daraus nicht viel machen konnte und der „Daily Telegraph“ konstatiert, die Vorwürfe der Einflussnahme an die Adresse von Charles seien eigentlich Rohrkrepierer, die nur denen schaden, die sie erhoben haben.
Dennoch blieb was hängen.
Sein früherer Pressesprecher, Mark Bolland, habe, laut „Guardian“, berichtet, dass der Prinz sich selbst als „Dissident“, als Abweichler vom vorherrschenden, politischen Konsens gesehen habe und in 2001 soll er sich schon über den „Grad, in dem unser Leben von einem wirklich absurden Maß von politischer Korrektheit bestimmt wird“, (degree to which our lives are becoming ruled by a truly absurd degree of politically correct interference), beschwert haben.
Jetzt als König scheint er sein Dissidententum abgelegt zu haben und verärgert eigentlich nur die Brexiter. Der EU tut er einen Gefallen, indem er wohltuende Besuche abhält. Eigentlich aber sollte er zuerst Macron besuchen, der jedoch wegen der Proteste gegen seine Rentenreform, derzeit alle Hände voll zu tun hat. Jetzt also besucht er zuerst Berlin und das alles noch vor seiner Krönung in Westminster! Der Bundespräsident, F.W. Steinmeier, ist begeistert und sagt:
„Ich weiß diesen Staatsbesuch umso mehr zu schätzen, als der König sich entschlossen hat, noch vor seiner Krönung zu uns nach Deutschland zu kommen.“
Er redet sogar vor dem Bundestag. Was für ein Auftritt! Der erste Monarch überhaupt, der vor dem deutschen Parlament spricht. Die Queen hat uns ein paar Mal besucht, aber nie vor unserem Bundestag gesprochen. Dafür ist sie in Hamburg 1965 Alsterdampfer gefahren, wohingegen Charles vermutlich eine Hafenrundfahrt macht. Die Alster war damals von Menschen umringt, die der englischen Königin beim Bootfahren zuwinkten. Ihr Sohn dürfte lediglich von den Medien umringt werden und interessiert sich vor allem wirtschaftlich.
König Olaf schaut bei der Rede die Charles hält, auch recht verschmitzt, als Charles mehrfach den Hamburger Hafen erwähnt, über eine Energiepartnerschaft an der Nordsee redet und die einzige Rivalität zwischen unseren Fußballmannschaften sieht. Hervorgehoben hat er die Zeit der Handelsverbindungen, nicht etwa als die Briten noch in der EU waren, sondern, als es Handel mit der Hanse gab, also vor ein paar Jahrhunderten. Das tut den Brexitern wohl nicht so weh. Der König redet zu gleichen Teilen in Deutsch und Englisch, zur Begeisterung des parlamentarischen Publikums. Am Ende stehende Ovationen.
Tatsächlich hat Deutschland mit Großbritannien noch vor einigen Jahren den größten Handelsüberschuss überhaupt gehabt, über fünfzig Milliarden Euro, noch vor dem positiven Saldo mit den USA. Gigantisch! Man kann also verstehen, wenn Berlin sich über eine Wiederbelebung der Handelsbeziehungen freuen würde. Denn die sind nach dem Brexit deutlich in den Keller gegangen.
Nach Geheimverhandlungen sieht der Staatsbesucher aber trotzdem nicht aus, auch wenn die Medien allerlei in diesen dreitägigen Besuch hineindeuten. Charles ist ganz Repräsentant und eben kein Politiker. Andernfalls würden die Wellen auf der Insel auch ziemlich hochschlagen. Es bleibt bei einem sympathischen Besuch und das war es dann wohl auch.
Trotzdem klingt verschwörerisches in den Medien an. Aber das ist eben unsere Zeit. Geheimverhandlungen in Berlin? Fehlanzeige!