Die KI wirbt vor allem für sich selbst

Sönke Paulsen, Berlin

Wer sich über die derzeitige Entwicklung der Allgemeinen künstlichen Intelligenz unterhaltsam informieren will, dem sei der norwegische Dokumentarfilm „i human“ empfohlen.

Die Dokumentation krankt allerdings daran, dass sie fast ausschließlich in Silicon Valley stattfindet und keine echten Einblicke in die Entwicklungsanstrengungen anderer Länder wie China, Russland und Asien insgesamt bietet. Alle diese Player werden erwähnt, aber es gibt keine Interviews mit Firmen und Entwicklungsabteilungen in Russland und Asien, übrigens auch keine Interviews mit Google und Facebook, also mit dem Alphabet und dem Meta-Konzern. Auch Microsoft hat keine Interviews und Einblicke für diese Dokumentation gegeben.

Deshalb kann man auf die Idee kommen, dass die norwegische Regisseurin, Tonje Hessen Schei, sich in Dämonisierungen der KI-Entwicklung flüchten muss und entsprechend dystopische Zukunfstbilder in den Vordergrund stellt.

Das ist aber nur ein sehr kleiner Teil der Wahrheit, die in dem sehenswerten Film immer wieder aufleuchtet.

Am Beispiel der künstlichen Gesichtserkennung zeigt sich viel mehr, als eine Gefahr zukünftiger Massenüberwachung. Das Tool wird mit gewaltigen Erwartungen überfrachtet, die dystopisch und werbeträchtig zugleich sind. Der Psychologe Michael Kosinski demonstriert in seinen Vorlesungen, dass es zukünftig auch erkennen kann, welche sexuelle Orientierung das anvisierte Gesicht verrät, welche Persönlichkeitsmerkmal und wozu die erkannte Person möglicherweise in der Lage sein könnte (vorhersehbares Verhalten). Auch von Intelligenz ist die Rede.

Ein absurder Rückgriff auf die Phrenologie, möchte man meinen, von der gerade die Nationalsozialisten exzessiven Gebrauch machten. In Wahrheit ist diese Behauptung, dass KI die Phrenologie neu beleben könnte, so absurd wie entlarvend für die Forschung an einer allgemeinen künstlichen Intelligenz.

Es ist die ihr innewohnende Tendenz zur Oberfläche und die Insuffizienz, Menschen tiefergehend zu analysieren.

Wenn beispielsweise ein bestimmter Prozentsatz in einer Gruppe von Männern mit einem schmalen Kinn homosexuell ist und dieser über dem Prozentsatz der Männer mit einem breiten Kinn liegt, kann dies nur ein Kratzen an der Oberfläche sein und besitzt höchsrens formale wissenschaftliche Signifikanz. Letztlich werden dabei die wissenschaftlichen Hypothesen an die Bedürfnisse und Eigenschaften eines Computerprrogrammes angepasst. Heraus kommt dann irgendetwas, das an die These erinnert,, Alzheimer liesse sich durch einen schlechten Zahnstatus vorhersagen. Analogieschlüsse von der gröbsten Sorte.

Trotzdem reichen solche oberflächlichen Einschätzungen den hauptsächlichen Stakeholdern der KI, den PR-Abteilungen der Konzerne, die Produktwerbung plazieren wollen. Wenn beispielsweise Menschen mit einem höheren Anteil an Gesichtsfett für Werbung von Snacks und Fastfood empfänglicher sind, hätte eine solche KI ihren Zweck bereits erfüllt.

Unerwünschte Nebenwirkung ist der Fake, dass Menschen mit hohem Gesichtsfettanteil zuckersüchtig und willenschwach beim Verzichten auf Kohlenhydrate sind.

Wenn wir diese Idee weiterentwickeln, kommen wir gerade nicht zu einer KI, die alles kann und dem menschlichen Gehirn überlegen ist, sondern zu einem Werbegag der Unternehmen, die KI verkaufen. Wir kommen zu einer überhöhten Hybris von Google und Facebook, die ihre Quatsch-Software zu einem Dämon aufbläst, der die Menschen einschüchtern und beeindrucken soll.

Das ist die Hauptmethode, mit der die Elektronikkonzerne in diesem Sektor gerade arbeiten. Neunzig Prozent der KI ist Werbepsychologie. Es birst der Berg und gebiert eine Maus!

Von einer allgemeinen künstlichen Intelligenz, die den Menschen überlegen ist, sind wir weit entfernt. Auch wenn beispielsweise militärisch genutzte KI derzeit sehr effizient eingesetzt werden kann, wie wir bereits im Irakkrieg und jetzt noch deutlicher nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine sehen. Drohnen jagen russische oder ukrainische Soldaten, sind aber keinesfalls in der Lage, einen Russen von einem Ukrainer zu unterscheiden. Wie auch? Sie greifen das an, was sie sehen und werden letztlich von Drohnenpiloten an ihren Einsatzort gesteuert.

Die Liquidierung eines Hamas-Chefs im Irak mittels einer Drohne mag im Einzelfall gelingen, aber der letzte Hamas-Kommandeur wurde mit einer vorher plazierten Bombe getötet. Ein komplexe geheimdienstliche Operation, die viel Zeit und Vorarbeit erforderte.

Die Psychologie, die hinter der offensiven Überschätzung von KI steht, ist die selbsterfüllende Prophezeihung auch mittels Gehirnwäsche und Manipulation. Wenn man nur lange genug behauptet, dass KI besser und intelligenter ist, als ein Kollektiv von Wissenschaftlern oder Geheimdienstlern, dann wird es irgendwann so sein. Notfalls auf dem Wege einer Einsparmaßnahme und Qualitätssenkung der eigentlichen humanen Ressourcen.

Das heißt auch, dass die Menschen so dumm, abhängig und hilflos gemacht werden, dass sie die künstliche Intelligenz dankbar begrüßen. Beispielsweise beim Pfad finden mittels Google. Wer das gelernt hat, kann sich angeblich nicht mehr verlaufen oder verfahren. Das Gegenteil ist der Fall. In unseren Städten sieht man massenweise unsichere Touristen, die ihr Handy vor sich her tragen und trotzdem nicht den Weg finden, weil sie die Landkarte für die Wirklichkeit halten und gar nicht merken, wo sie sich befinden. Das ist eine ganz bedenkliche Verdummung durch künstliche Intelligenz.

Die Menschen müssen also dümmer werden, um von einer reichlich primitiven KI zu profitieren? Ja, natürlich. Wenn sie es überleben!

Ich jedenfalls habe noch nie gehört, dass ein Autofahrer einen einbiegenden LKW für ein hoch hängendes Verkehrsschild gehalten hat, unter dem man durchfahren kann. Bei Teslas Autopiloten passiert so etwas und vieles mehr. Viele Gläubige mussten schon dran glauben.

Aber statt die Möglichkeiten von KI kritisch einzuschätzen, gehen Leute wie Sutskeva (ehemals OpenAI) so weit, eine Superintelligenz anzustreben, die den Menschen überlegen ist und irgendwann von einem riesigen Rechenzentrum aus die Welt regieren wird. Der Philosoph Tegmark spricht sogar von einer Superintelligenz göttlichen Ausmaßes, die alle unsere Probleme lösen wird. Es werden Superlative bemüht, die widerum an Werbepsychologie erinnern.

Halten wir also fest.

Die KI ist derzeit vor allem dazu da für sich selbst zu werben und die Menschen dümmer zu machen, als sie sind. Dafür wird auch in die rhetorische Trickkiste gegriffen, mit der man sie als unaufhaltsame Naturgewalt bezeichnet, um ihre „Alternativlosigkeit“ darzustellen. Menschliche Manipulation durch Werbestrategen.

Die Tatsache, dass KI-Methoden an wissenschaftlich unhaltbare Thesen anknüpfen, die gut zu den Programmen aber schlecht zur Realität passen, wie bei der Phrenologie der Fall, zeigt eine Tendenz zu Realitätsverleugnung und zum Wunsch die Realität so zu verändern, dass sie zu einem KI-Programm passt. Es ist ein Hinweis auf die Art der Informatiker, die Wirklichkeit so lange zu vergewaltigen, bis sie in ein Videospiel zu passen scheint. Es ist der größte Fake der Geschichte.

Wenn sich das durchsetzt, verlieren wir unsere wissenschaftliche Erkenntnisfähigkeit und werfen die gesamte erkenntnistheoretische Vorarbeit seit der Antike in den Müll. Man muss die halbseidenen Ikonen dieser Zunft eigentlich als Scharlatane bezeichnen. Seriöse Intellektuelle sind das jedenfalls nicht!

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